"Die größte Leistung ist, sich selbst treu zu bleiben in einer Welt, die einen immerfort zu verändern sucht." Ralph Waldo Emerson

Anderer Sternenstaub

Montag, 24. Oktober 2011

Tatort


Langsam blies Rainer Kleinmann den Rauch aus. Er hatte keine Ahnung wie lang er schon da stand, aber seine Füße fühlten sich an wie Eisklötze. Doch Rainer hatte in seinem Beruf schon weit aus schlimmere Strapazen erleiden müssen. Man gewöhnte sich an alles. Da, endlich tat sich was. Die Tür des prunkvollen Hauses gegenüber öffnete sich und eine blonde, schlanke Frau verließ in Trainigsanzug das Haus. Kira Winter. Sie war jung, um die 20 und gehörte eindeutig zu den Frauen, die selbst in einem Kartoffelsack eine gute Figur abgaben. Rainer sah auf seine Uhr. Eine Rolex. Sie war verdammt teuer gewesen und er hatte sie mit einem ersten Gehalt finanziert. Genau 20 Uhr. Kira war wie immer pünktlich. Rainer kannte ihre Runde in und auswendig und wusste, sie würde erst wieder gegen 20.20Uhr mit dem Schäferhund zurück sein. Doch trotzdem musste jetzt alles schnell gehen.
Rainer Kleinmann setzte sich in Bewegung und schlich sich wie eine Katze auf der Pirsch an das Haus heran. Er war geübt. Alles war perfekt geplant, es würde keine Zeugen geben. Die Nachbarn zur Rechten, ein altes Ehepaar, waren zur Kur an der Nordsee. Die zur Linken, ein frisch verlobtes Pärchen, waren ausgegangen.
Kleinmann stand nun direkt vor der großen Glasscheibe, sodass er Lukas Winter genau im Visier hatte, der ihm optimalerweise den Rücken zuwandt. Er saß auf dem teuren Ledersofa und rauchte eine Zigarre. Rainer war stolz auf sich, an diesem Punkt angelangt zu sein. Es war kein einfaches gewesen über Wochen hinweg die Aktion zu planen. Das Haus von Lukas und Kira Winter glich einem Hochsicherheitsgefängnis. Überall waren Überwachsungskameras und Alarmanlagen positioniert. Kein Wunder, bei Lukas Winter, dem angesehen plastischen Chirurgen, gab es nicht gerade wenig zu holen. Das war wohl auch der Grund, dass er eine solch hübsche und noch dazu 30 Jahre jüngere Frau hatte, vermutete Kleinmann. Denn obwohl Winter seinen Patienten zu einem neuen, schöneren Aussehen verhalf, ob eine neue Nase, straffere Haut oder größere Brüste, er selbst war nicht sonderlich attraktiv.
Geld machte Menschen manchmal zu unfassbaren Dingen fähig, wusste Rainer Kleinmann. Er selbst war das beste Beispiel dafür. Und so wie er Kira Winter einschätze, war auch bei ihr die Liebe zu den materiellen Dingen, die sie sich durch Lukas Winter leisten konnte, größer als die Liebe zu ihrem Mann.
20.07Uhr. Kleinmann schlich zur anderen Seite des Hauses um zur Hintertür zu gelangen. Es war eine Sicherheitstür, die sich nur öffnen ließ, wenn man den Code kannte. Rainer kannte ihn. Nun stand er im Flur und zog mucksmäuschenstill die Tür hinter sich zu. Sicher, er hätte Lukas Winter auch einfach durch einen gezielten Kopfschuss zur Strecke bringen können. Aber er hatte alles genau so zu erledigen, wie sein Auftraggeber es wünschte. Und dieser wünschte sich, dass Lukas Winter in den letzten Sekunden seines Lebens, seinem Mörder in die Augen sah. Außerdem sollte Rainer seinem Auftraggeber von Winters Gesichtsausdruck berichten, wenn dieser begreifen würde, dass es mit ihm vorbei war.
20.08 Uhr. Rainer Kleinmann stand nun direkt vor dem Wohnzimmer. Er erkannte anhand des Tons, dass Lukas Winter gerade dabei war die Nachrichten zu schauen.
Von einem auf den anderen Moment riss Rainer Kleinmann die Tür auf.
„Ja, hallo Lukas!“, rief er entzückt.
Lukas Winter starrte ihn perplex an.
„Was...was...Wer sind sie? Was machen sie in meinem Wohnzimmer?“
„Ich dachte, ich statte dir mal einen kleinen Überraschungsbesuch ab“, meinte Rainer gelangweilt. Doch auf einamal zog er die Pistole hervor und zielte auf Kleinmann.
„Was soll das werden? Was wollen sie von mir?“, schrie Winter hysterisch.
Anstatt eine Antwort zu geben, drückte Kleinmann auf den Abzug. Er schoss. Mitten ins Herz. Winter gab noch einen krächzenden Laut von sich, dann sank er zusammen. Rainer Kleinmann vergewisserte sich, dass Lukas Winter wirklich tot war, dann erst steckte er die Pistole wieder ein. Seine Arbeit war getan. Als er im Flur war, hörte er, wie im Hintergrund die Tatortmusik ertönte. Es war 20.15Uhr. Draußen atmete er die frische Abendluft ein. Er empfand weder Stolz noch Mitgefühl. In ihm war alles kalt und leer, er hatte seinen Auftrag erfolgreich abgeschlossen.
Als er seinen Wagen startete, sah er, wie Kira Winter mit dem Schäferhund wieder um die Ecke kam. An ihr vorbei fahrend pfiff er die Tatortmelodie.

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